Die Weltgesundheitsorganisation, WHO, definiert das Phänomen „Rechenschwäche/Dyskalkulie als Rechenstörung:
Diese Störung beinhaltet eine umschriebene Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine eindeutig unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Defizit betrifft die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fähigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie, Geometrie und Differential- sowie Integralrechnung benötigt werden.
Auffällig an dieser Umschreibung ist die Tatsache, dass man hauptsächlich erfährt welche Umstände nicht einer Dyskalkulie zugeordnet werden. Über die Ursachen, Nebenwirkungen und notwendigen Interventionen selbst hält sich die Definition jedoch bedeckt.
In meiner über fünfzehnjährigen Arbeit mit dyskalkulen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen konnte ich selbst die unterschiedlichsten Ursachen feststellen, seien es Spätentwicklungen, zu frühe Einschulungen, ungeeignete Didaktik der Mathelehrer, Konzentrationsstörungen oder biogenetisch bedingte, differenzierte Sinneswahrnehmungen. Sind die Ursachen übrigens letzterer Natur sollten diese ebenfalls, neben der Symptomatik, in einer Therapie unbedingt interveniert werden.
Alle Ursachen führen jedoch in den meisten Fällen zu einem „Missverständnis der Mathematik“, dass sich dahingehend auswirkt, dass die Probanden die Mathematik nicht als Beschreibung von Handlungen mit Mengen verstehen, sondern als rein symbolisches Zahlen- und Formelwerk, ohne Bezug zur Realität, dem mit Auf- und Abwärtszählen, sowie verständnislosem Auswendiglernen von Algorithmen beizukommen versucht wird.
Da, sich die angeeigneten, teils eigenständig erfundenen Rezepte, um Rechenaufgaben zu bewältigen, mit der Zeit immer weiter anhäufen und aufgrund des hierarchischen Aufbaus der Mathematik immer wieder angewendet werden müssen, finden sich viele Kinder mit der Materie überfordert. Die Rezepte können, da unverstanden nicht mehr richtig zugeordnet werden, die mathematischen Leistungen fallen ab und die Kinder geraten mit der Zeit in seelische Bedrängnis und entwickeln erhebliche Selbstzweifel, insbesondere, da den Klassenkameraden die Mathematik leicht zu fallen scheint. Dabei haben sie, ihrer Meinung nach, doch alles richtig gemacht und das Beste gegeben. Trotzdem gelingt es nicht zuverlässig die richtigen Ergebnisse zu produzieren. Die beschriebenen Umstände münden häufig in Verhaltensauffälligkeiten oder in sogenannten psychoreaktiven Sekundärsymptomen, die sich unterschiedlich äußern können, z.B. in Versagensängsten und negative Selbsteinschätzung. Das Kind hält sich für dumm und traut sich nach und nach auch in anderen Unterrichtsfächern nichts mehr zu. Die wachsenden Selbstzweifel greifen auf andere Schulfächer und auf die allgemeine Leistungen über, so dass bei eigentlich intelligenten Kindern der Bildungsabschluss letztendlich unangemessen niedrig, also unterhalb der Möglichkeiten liegen wird.